Unsere PionierInnen des Wandels

Lieber Martin,

ich habe mir in den letzten Tagen die Interviews mit Geseko von Lüpke und Johannes Heimrath angeschaut, die du gemacht hast, und freue mich sehr über diese wunderschöne Gelegenheit, diese Menschen "auf meinem Sofa" zu erleben und ihnen durch deine Art zu fragen nochmal ganz anders näherzukommen als durch ihre Bücher/Zeitschrift. Dir und allen, die daran beteiligt sind: Vielen, vielen Dank dafür!

Und nicht nur denen komme ich näher, die du interviewst, sondern auch dir, denn auf meinem Bildschirm sind immer 2 Menschen zu sehen. Natürlich ist "näher kommen" nur von meiner Seite ausgesehen, der Summit ist ja eine Einbahn-Straßen Kommunikation. So hat sich deine Anspannung in den ersten 20 Minuten eines Videos zB. bis zu mir aufs Sofa übertragen. Und ich finde es nun ganz wunderbar, das du sie offenlegst, eben in dem Ankündigungsvideo von heute, wo du über Kritik sprichst. Ich glaube, dass es das auch für den Wandel braucht: das wir uns mit unserer Verletzlichkeit vertraut machen und sie, wo nötig, zeigen.

Weil es eben nicht darum geht, perfekt zu sein! (Was für ein Kontroll- oder Allmachtsbedürfnis steckt eigentlich hinter dem Anspruch, perfekt zu sein? Und inwiefern hat das mit unseren vielfältigen Krisen zu tun?)

Ich befasse mich seit anderthalb Jahren in Dresden intensiv mit der "Transformational Social Therapy/Therapie Sociale", bei der es um Konflikttransformation in gesellschaftlichen Konflikten geht. Dieser Auseinandersetzung hat meine Sensibilität dafür, wo meine Gewalt liegt ("wo ist der Trump/die Pegidistin/... in dir?") erhöht. Und sie macht es mir leichter, mit jemand anderen, der mir oder anderen gegenüber gewaltvoll ist (oder scheint; und Gewalt meint auch Verachtung, Abwertung und Ignorieren!) in Kontakt zu treten. Und vor allem, zu erkennen, wo ich selbst gewaltvoll bin, also verurteile, abwerte usw. Deshalb macht mir deine Gestik oder Mimik, von der du schreibst, das sie jemanden gestört hätte, nichts mehr aus: weil ich mich nur fragen musste - moment, warum stört mich das eigentlich? Warum komme ich in die Versuchung einer Abwertung? Meine Antwort in diesem Fall: Hm, es scheint so, Martin möchte gern perfekt sein.. und er versucht es so doll, das ich es merke! Aber hmh, das perfekt-sein-wollen kenne ich auch! Ich will das gerne loslassen, das perfekt-sein-wollen, es klappt aber noch nicht immer.. und wenn ich mit einem Gegenüber konfrontiert bin, der mich daran erinnert, dann komme ich leicht in die Abwertung... so wie auch meinem eigenen Perfektheits-Anspruch gegenüber!
Wenn ich aber meine Unperfektheit UND den verschämten Wunsch, doch bitte perfekt zu sein, annehmen kann - dann kann ich - Oh Wunder! - auch dich einfach so annehmen, wie du dort in diesem Video bist! Und das ist wunderschön. Und diese Erkenntnis, dieser WANDEL, ist mir nur möglich durch dich (in der Einbahnstraße, wie gesagt, aber die drehe ich ja gerade um ;)) Und schau: konkrete Veränderung passiert hier schon (als Antwort auf deine Frage von heute..)

Wenn dich jemand anders also dafür kritisiert - dann geh weiter und gesteh dir deine Unperfektheit zu. Diejenigen, die mit ihrer eigenen Unperfektheit im Reinen sind, werden sich vermutlich nicht daran stören.

In diesem Sinne, danke für die schon heute vielfältigen Inspirationen und herzliche Grüße aus Dresden!

Anne